Montag, 1. Juni 2009

Metalepsen und NaFu

Auf meinem Heimflug war ich gezwungen, die sehr unüberzeugende Verfilmung von Tintenblut anzusehen (ich hoffe, die Bücher sind besser!) und dabei ist mir ein weiterer Aspekt eingefallen, der für NaFu von Interesse sein könnte: mir scheint, dass die Determiniertheit und Linearität der Zukunftsentwürfe von Erzählung immer dann (explizit oder zumindest implizit) in Frage gestellt wird, wenn eine Figur im Sinne der Metalepse aus ihrer Erzählebene heraustritt und sich über ihre fiktionale Natur bewusst wird, oder sogar ihre eigene Geschichte verändert. Als Teil einer (idR abgeschlossenen) Erzählung ist die Zukunft der Figur "geschrieben", sie ist bereits vergangen und ihr Ausgang bekannt, mit dem metaleptischen Ebenenbruch aber kann diese Determination zumindest theoretisch gebrochen werden. Im Tintenblut-Film erfährt eine Figur, dass sie in ihrer Romanwelt sterben wird, als sie aber in diese Romanwelt zurückkehrt, sind die Voraussetzungen des Todes nicht mehr gegeben - die Geschichte schreibt sich also um?

Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Texten, in denen fiktive Figuren sich gegen ihr "Erzählschicksal" auflehnen, oder auch auf dessen Einhaltung drängen. Mir fallen spontan Flann O'Brians At Swim-Two Birds ein sowie Luigi Pirandellos Sei Personaggi in Cerca D'Autore, außerdem Die Unendliche Geschichte. Weitere Beispiele? Meinungen dazu?

10 Kommentare:

  1. In "At Swim Two Birds" habe ich neulich auch mal reingelesen und fand die unterschiedlichen "Anfangsmöglichkeiten", mit denen der Text eröffnet werden, schonmal sehr interessant. Noch radikaler wird das in B.S. Johnsons "The Unfortunates" umgesetzt, in dem jedes Kapitel einzeln gebunden ist und keine festgelegte Reihenfolge innerhalb dieser Kapitel vorgegeben wird. Auch in diesem Text thematisiert der Erzähler, wenn ich mich richtig erinnere, das Ausbrechen aus vorgegebenen, linearen und determinierten Erzählschemata.

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  2. Mir fallen (natürlich ;-)) noch die Star Trek-TNG-Folgen ein in denen Prof. Moriarty auf dem Holodeck erkennt, dass er nur eine künstliche Figur ist und dann versucht, auszubrechen ("Elementary, Dear Data" und "Ship in a Bottle").
    Was ist denn mit Geschichten die aus Rahmenerzählung und Binnenerzählung bestehen und in denen Veränderungen in der Rahmenerzählung jeweils (unerwartete) Auswirkungen auf die Binnenerzählung hat (z.B. das ziemlich geniale Kinderbuch "Saids Geschichte" von Sigrid Heuck; oder vielleicht auch der Film "The Princess Bride", wobei ich mir da jetzt nicht sicher bin - ist schon ne Weile her)?

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  3. Auch schön meta ist der Vierteiler
    "Lost in Austen" in dem u.a. Elizabeth Bennet aus "Pride and Prejudice" dem Roman entflieht und lieber in der realen Welt lebt während eine junge Frau aus unserer Welt mit ihr Platz tauscht (was dazu führt dass die Handlung des Romans völlig durcheinander gerät - Jane heiratet Mr. Collins etc.).

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  4. @Felicitas: die radikale Nichtlinearität beider Texte (besonders bei Johnson) ist natürlich auch ein sehr NaFu-relevanter Aspekt, mir geht es aber mehr darum, wie sich die intradiegetischen Figuren gegen ihren Erzähler auflehnen (ihn glaube ich sogar vor Gericht bringen).
    @Stefi: dito reicht mE die Erkenntnis einer Figur in ihre fiktionale Natur noch nicht für den von mir beschriebenen Efffekt, sondern nur das Wissen, eigentlich teil einer _abgeschlossenen_ Erzählung zu sein, deren Geschlossenheit man dadurch in Frage stellt. Ist eine Weile her, seit ich die TNG-Folgen gesehen habe - weiß Moriarty, wie seine Geschichte eigentlich ausgehen soll? Das Holodeck ist ja gerade nicht ein Kino, in dem sich past narratives ansehen lassen, sondern die avancierteste Form des Videogames, also interaktiv und grundsätzlich offen.

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  5. @ Sebastian: Soweit ich mich erinnern kann weiß Moriarty nicht, wie seine Geschichte ausgeht, allerdings hat er sich auch aus dem zweidimensionalen Bösewichtschema weiterentwickelt und ist damit nicht mehr zufrieden.
    Und noch ein pot. Beispiel (dann bin ich aber still ;-)): der Film "Stranger than Fiction"

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  6. Kann man Beiträge eigentlich nachträglich auch irgendwie edieren?
    Anyway, was ich zu "Lost in Austen" noch sagen wollte: In der realen Welt liest Elizabeth den Roman und weiß also, dass sie Darcy heiraten muss (den sie aber durch die neue Handlung hier noch gar nicht getroffen hat und eigentlich auch nicht heiraten will).
    Die Story wird jetzt auch noch als Hollywood-Film verfilmt.

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  7. Ich glaube, Kommentare kann man nur komplett löschen, nicht edieren (anders als die Posts). Aber egal, man kann ja nachtragen. Und nicht still sein bitte! Stranger Than Fiction ist ein super Beispiel, da wird genau das was ich meine ja wirklich direkt thematisiert ("little did he know..."). Den Film sollten wir auf jeden Fall mal auf die Bestellliste setzen.
    Off-Topic: Wo du gerade von Austen-Variationen sprichst, Steffi - derzeit auf Platz 4 der NYT Taschnbuch-Bestsellerliste: PRIDE AND PREJUDICE AND ZOMBIES, by Jane Austen and Seth Grahame-Smith.

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  8. Von dem hab ich auch schon gehört...
    Wenn's ganz eilig ist: "Stranger than Fiction" kann ich auch verleihen (z.B. morgen zum Mittagessen mitbringen).

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  9. Relevant sind vielleicht auch die "Thursday Next" Bücher von Jasper Fforde.

    Ansonsten hab ich noch eine Freundin gefragt und die hat folgendes Werke vorgeschlagen:
    Tom Holt, "My Hero"

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  10. Fforde lese ich gerade wieder, wenn ich über besonders interessante Schnipsel stolpere, poste ich die hier mal rein.

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